Als Stadtmensch bin ich eigentlich einiges gewöhnt an Geräuschkulisse. Seit ich auf dem Land lebe wird mir immer mehr bewusst, was ich alles aufnehme, wenn ich in Berlin bin. Hier höre ich nur Vogelgezwitscher, den Hahn krähen, die Bienen summen, die Insekten brummen, der Wind rauscht leise durch die Bäume und das Pferd pupst auf der Weide. Es strömen durch die offenen Fenster an diesem Sommertag nur natürliche Geräusche und Gerüche ins Haus. Im Hintergrund tickt meine Wanduhr und weißt mich stündlich mit Vogelgezwitscher daraufhin, dass der Tag irgendwann vorbei sein wird.

Kulissenwechsel. Ich bin in meiner Wohnung in der Stadt, die ich inzwischen als WG umfunktioniert habe um Kosten zu sparen. Die Sonne steht schon hoch am Himmel als ich aufwache. Ich bin allein, mein Mitbewohner ist nicht da und meine Tochter in der Schule. Von unten höre ich das Donnern der Mülltonnen die durchs Haus gezerrt werden von der Müllabfuhr. Dabei knallt es mehrmals laut, weil sie die Stufen runter und wieder hoch müssen.

Ich gehe ins Wohnzimmer und öffne den Balkon. Vom Nachbarn kommt mir eine frisch ausgeatmete Zigarettenwolke entgegen.
Ich blicke über die Dächer in den Himmel. Luxus in Berlin. Hinten links sehe ich das Schild einer bekannten Pommesbude, und noch weiter hinten den Schornstein der Brauerei. Eine weiße Rauchsäule steigt in den Himmel. Rechts steht eine Linde vor dem Haus. Die Krone hat bald die Höhe des Hauses erreicht. Geradezu stehen fünfgeschossige Wohnhäuser parallel zueinander ausgerichtet in drei Reihen. Die Vögel zwitschern ihren Morgengruß in meine Richtung.

Meine Ohren fangen plötzlich an zu sausen. Merkwürdig, das hatte ich noch nie. Ich versuche sie zu beruhigen, indem ich bewusst die Geräusche filtere.
Es sind die typischen Stadtgeräusche die da auf mich einwirken. Brummende und hupende Autos, das Dauersausen mit Geschwindigkeit über die Hauptverkehrsstraße. Die Einkaufswagen vom gegenüberliegenden Supermarkt, die schwungvoll und klirrend von der Kette befreit werden. Lachende und laut sprechende Menschen, die alle scheinbar den Lärm übertönen möchten um sich Gehör zu verschaffen. Das Klicken der Ampel, das helfen soll, Menschen ohne Augenlicht über die Straße sicher zu begleiten. Die Straßenbahn, die klingelnd warnt vor ihrem Eintreffen, und dann am Schluss das Warnsignal der schließenden Türen. Ein Fahrradfahrer saust unten auf der Straße vorbei und schimpft lautstark: „Du A….l….!! Pass auf wo du hinfährst!“. Es wird gehupt und es quietschen Autoreifen. Ein Handwerker hat den Bohrhammer angeschmissen im Haus gegenüber. Das Geräusch lässt mich an meine Baustelle denken.

Und dann bin da noch ich, auf meinem Balkon.

Ich nehme meine Kopfhörer, verbinde sie mit meinem Handy, stecke sie sorgfältig in die Ohren und öffne mein Lieblingsalbum. Ich starte die Musik und beschließe den Tag im Sonnenschein, ohne etwas anderes hören zu müssen, zu beginnen, nur mit dem was ich in diesem Moment aushalten mag.

Es ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich ich Tag für Tag diese Geräusche aufgenommen habe ohne zu merken was meine Ohren da alles automatisch an Informationen zusätzlich zum schnellen Leben und Alltag wahrnehmen und aufnehmen mussten. Das war mir selten so bewusst wie heute. Meine Ohren, aber auch meine Nase hatten wohl dringend eine Kur nötig nach 40 Jahren Stadtleben. Nun wird es Zeit ihnen die Ruhe zu gönnen, die sie verdient haben.

Mecklenburg-Vorpommern, 23. Juni 2021

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